HÖRZU

Die Zeit, die bleibt

Dreiviertel HÖRZU: Ingo Schnagge, Robin Schnöckelborg und Sascha Schwelm.

Hip-Hop wird in diesem Jahr ein halbes Jahrhundert alt. Der Überlieferung nach war es DJ Kool Herc, der 1973 auf einer Party in der New Yorker Bronx den Grundstein für die heute wahrscheinlich populärste Musikrichtung der Welt legte. Es dauerte eine Weile, bis der neuartige Sound, der auf gesampelten und geloopten Drumbreaks alter Soul-, Funk- und Jazzplatten basierte, aus den Sozialbauwohnungen der US-Metropolen in den Pop-Mainstream und schließlich über den großen Teich schwappte. 1988 infizierte er auch einige Jugendliche in Krefeld: Als HÖRZU wurden Robin Schnöckelborg, Ingo Schnagge, Sascha Schwelm und Philipp Fleischmann zwar nicht weltberühmt, aber sie dürfen sich heute mit Fug und Recht als Pioniere des deutschen Hip-Hops bezeichnen. 30 Jahre nach Erscheinen ihrer Mini-LP „Gestammelte Werke“ trafen sich Dreiviertel der Crew für einen digitalen Re-Release ihrer alten Werke in ihrer Heimatstadt wieder.

Die Runde im Biergarten des Stadtwaldhauses erinnert ein bisschen an ein Ehemaligentreffen, bei dem man alte Anekdoten rauskramt und lachend in Erinnerungen schwelgt. HÖRZU gibt es offiziell seit 1998 nicht mehr, die Kumpels hat es seitdem in alle Windrichtungen verschlagen. Robin Schnöckelborg lebt seit über 20 Jahren in Japan, wo er als Übersetzer für Videospiele arbeitet, Ingo Schnagge leitet ein Unternehmen in Wien, Philipp Fleischmann führt eine erfolgreiche Filmproduktionsfirma. Dem Hip-Hop huldigen sie allenfalls noch als Zuhörer. „Vor 20 Jahren erwähnte ich in einem Gespräch, dass ich früher bei HÖRZU war“, erzählt Ingo Schnagge. „Mein Gegenüber war total aus dem Häuschen: ,Wie geil!‘, sagte er. ,Und was machst du heute?‘ ,Unternehmensberater‘, sagte ich. Darauf brach er total zusammen: ,Boah, wie tragisch! Das tut mir aber leid.’“ Allgemeines Gelächter. Ingo und Robin, die 1988 zusammen die Flowmatics gründeten und dann gemeinsam mit der 3D-Posse von Philipp Fleischmann und Sascha Schwelm zu HÖRZU fusionierten – „dienstags im Centre Ville, das Bier einsfünfzig“, ruft Sascha rein –, waren am vergangenen Wochenende als Gäste beim Abschiedskonzert von Fettes Brot eingeladen. Auf Social Media finden sich Fotos, auf denen Robin mit Schiffmeister, Doktor Renz und Jan Delay posiert: „Man kannte sich früher, wurde durch Artikel in Fanzines oder Stücke auf Samplern aufeinander aufmerksam und schrieb sich dann. Oder man drückte sich bei Konzerten Tapes in die Hand, wie beim Gig der Fantastischen Vier in der Kulturfabrik: Da sahen wir Thomas Ds nackten Hintern in der Umkleide!“, lacht Robin, dessen Rhymeskills in der Gründerzeit des deutschen Hip-Hops einige Anerkennung fanden. „Am Anfang war das wie ein Wettrennen: Wer bringt wohl das erste Album raus?“, erinnert er sich.

Erinnerungen an alte Zeiten: In den frühen Neunzigerjahren durften sich HÖRZU zu den absoluten Pionieren des deutschen Hip-Hops zählen.

HÖRZU waren in diesem Rennen in aussichtsreicher Position dabei, doch während die Kollegen aus Hamburg oder Stuttgart zu Stars avancierten, löste sich die Krefelder Crew nach der LP „Ritter der Schwafelrunde“ sang- und klanglos auf. „Wir hatten uns ein bisschen auseinandergelebt, fingen an zu studieren oder zu arbeiten“, beschreibt Robin den Lauf der Dinge. „Aber ich hatte auch das Gefühl, alles erreicht zu haben, was ich wollte“, gesteht er. „Wir hatten zwei Platten gemacht, es gab T-Shirts mit unserem Logo und wir waren auf dem Krefelder Cocktail aufgetreten. Mehr wollte ich gar nicht.“ Wenn sie an die Menschenmenge denken, die zu ihren munteren Beats auf der Rheinstraße auf und ab hüpfte, bekommen sie heute noch Gänsehaut. Zum wirklich großen Erfolg hätte es wahrscheinlich eines ehrgeizigen Produzenten bedurft, der den Jungs einen Hit auf den Leib schneidert. „Wir waren keine Songwriter, wir wollten einfach nur Spaß haben, Sprüche klopfen und feiern“, räumt Robin ohne Reue ein. „Ja, dir ging es eher um die Anerkennung als Rapper in der Szene“, wirft Ingo ein. „Einen Pophit zu machen, um damit Geld zu verdienen, wäre nicht dein Ding gewesen, glaube ich.“ Man war jung – und brauchte das Geld nicht unbedingt. Ingos Bedürfnisse waren hingegen eher weltlicher Natur, wie er ehrlich zugibt: „Bei unseren Konzerten waren immer nur Typen anwesend“, berichtet er. „Später war ich dann auf einer Show von Fettes Brot und auf einmal waren da nur noch Mädels, die ,Jein‘ mitsangen. Ich dachte nur: ,Wo waren die denn früher gewesen? Das war genau das, was ich auch haben wollte!’“ Wieder Gelächter. Zur Rampensau taugten aber weder er noch sein Mitstreiter Sascha: „Wir fühlten uns im Hintergrund hinter unseren Plattenspielern ganz wohl und waren froh, nicht vorne rumhampeln zu müssen“, grinst Schwelm.

Was Robin vielleicht an marktwirtschaftlichem Kalkül fehlte, machte er mit künstlerischem Idealismus wett: Von seinen jugendlich-strengen Vorstellungen, was deutscher Hip-Hop sein solle, zeugt noch ein altes Interview im Netz: „Ich bin noch heute der Meinung, Hip-Hop muss vor allem funky sein. In Deutschland gab es zu Beginn jedoch vor allem diesen politisch aufgeladenen Multikulti-Hip-Hop, der eher an Punk erinnerte. Wir rappten in erster Linie über Blödsinn und fielen damit aus der Reihe“, erläutert er. Ein früher Diss gegen die Absoluten Beginner führte dazu, dass diese auf ihrem Debütalbum „Bambule“ mit Bezug auf die Konkurrenten von einem „Reinfall wie in Krefeld am Rhein“ rappten. Viel Feind viel Ehr, aber die alten Kriegsbeile sind längst begraben. Der Siegeszug des deutschen Hip-Hops um die Jahrtausendwende wurde vor allem von deutschen Mittelstandskids mit bürgerlichem Hintergrund angetrieben, zu denen auch die Krefelder zählten: Fanta 4, Fettes Brot, Freundeskreis, Blumentopf. Auch das hat sich heute enorm verändert. Rap ist aggressiv geworden, laut und mitunter stumpf. „Man muss sich heute ein bisschen schämen, wenn man sagt, dass man deutschen Hip-Hop macht“, seufzt Robin.

Beim mittlerweile zweiten Kaltgetränk spielen sich die alten Weggefährten dann aber weiter munter die Bälle zu: „Im Kilimanjaro trat mal das Krefelder One-Hit-Wonder P.M. Sampson auf“, kramt Sascha in Erinnerungen. „Philipp fing an, ihn aus dem Zuschauerraum anzupöbeln: ,Du kannst ja nix!‘ – ,Komm‘ doch rauf und mach‘ es besser!‘ – ,Okay!‘, hat Philipp gesagt, ist auf die Bühne gestiegen und hat angefangen zu freestylen. P.M. Sampson konnte nur noch bedröppelt abziehen.“ Ein Höhepunkt der gemeinsamen Zeit war sicher auch der Auftritt in der Grotenburg, in der Halbzeitpause des Spiels des KFC gegen die Bayern. „Wir hatten das Lied ,Bayer Uerdingen‘ aufgenommen. Kurz darauf sprang Bayer als Sponsor ab und wir mussten das Lied noch einmal umtexten“, klärt MC Robin S. auf. Während die Fußballfans auf die zweite Halbzeit warteten, sprangen HÖRZU im Mittelkreis unter den Augen von Olli Kahn, Mehmet Scholl und Lothar Matthäus zum Playback ihres Songs herum. Weniger lustig war ein Fotoshooting, das vor dem vollbesetzten Schalke-Fanblock durchgeführt werden sollte: „Der Fotograf hielt das für eine gute Idee, weil der Block voller war als der Krefelder. Aber wir wurden mit einem Regen aus Bierbechern und Feuerzeugen begrüßt“, steuert Ingo einen weiteren Schwank aus alten Zeiten bei.

Auch wenn man hier und da ein bisschen Schwermut und Bedauern zwischen den Zeilen heraushört – darüber, dass man damals nicht den Mut oder Ehrgeiz hatte, mehr zu investieren, oder auch einfach darüber, dass die unbeschwerte Zeit der Jugend längst vorbei ist: Es ist ja auch gerade diese Unbedarftheit, die dazu geführt hat, dass man hier und heute so entspannt darüber plaudern kann, was gewesen wäre, wenn. Der Traum ist nicht mehr realisierbar, aber seine verführerische Kraft wirkt immer noch. Es ist rückblickend eh erstaunlich, mit welcher Naivität die vier Freunde ans Werk gingen. Bei der Produktion ihrer Stücke waren sie auf kundige Hilfe von außen angewiesen, denn von der Technik hatten sie eigentlich gar keine Ahnung. Auch was die Lyrics anbelangte, wurde einfach frisch von der Leber weg losgerappt, ganz ohne die Bedenken, die heute ganz automatisch mitschwingen. „Ich habe von den US-Rappern, die ich hörte, nie als Schwarze gedacht“, gesteht Robin. „Für mich waren das vor allem Teenager, Gleichaltrige. Und wenn die über ihre Sneaker und ihren Alltag rappen konnten, warum sollte ich das nicht auch können?“ Auf die Idee, die alten Sachen noch einmal neu aufzulegen, kam Robin eher durch Zufall: „Ich hatte noch ein altes 16-Spur-Band, das langsam zerfiel. Man muss es dann ,backen‘, damit man es noch einmal abspielen kann, um es zu digitalisieren. Ich hatte danach diese ganzen digitalen Tonspuren zu Hause auf dem Rechner und fing an, damit rumzuspielen. Das zog sich über mehrere Jahre hin. Als sich das 30-jährige Jubiläum von HÖRZU näherte und die Einladung von Fettes Brot ins Haus trudelte, habe ich mich entschieden, diese Remixe zusammen mit einigen Raritäten als CD rauszubringen.“

Die alten Fans freuten sich über die Gelegenheit, die alten Hits im neuen Gewand kaufen zu können.
Zum Release bei Dr. Flotte konnte man auch Vinylscheiben der alten Platten erwerben.

Zur Re-Release-Party bei Dr. Flotte erscheinen zahlreiche alte Freunde und Bekannte. Wer eine CD kauft, bekommt einen ganzen Stapel an Goodies: übriggebliebene alte Maxis, Aufkleber und natürlich einen Download-Code für Bandcamp. Demnächst wird es die alten und neuen Stücke auch auf den gängigen Streaming-Portalen zu hören geben, auf Spotify oder Apple Music. Ein Comeback vielleicht? Ganz sicher nicht. Es ist eine kurze Feier der Jugend, eine nostalgisch aufgeladene Rückschau oder auch einfach ein guter Anlass, mit alten Freunden mal wieder ein paar Biere zu trinken und sich alte Geschichten zu erzählen. Auch an diesem Abend ist es ein bisschen wie damals, als HÖRZU Krefeld und die Bühnen der Region unsicher machten: Die Musik gerät zur Nebensache, es geht um etwas ganz anderes. Darum, was man aus der gemeinsamen Zeit macht, und wie sie stillsteht, wenn man mit den richtigen Menschen am richtigen Ort ist. Wie dann plötzlich fast alles möglich zu sein scheint und nichts unerreichbar. Es geht um Freundschaft. Hier hier/in Krefeld, in Krefeld/am Rhein.

CDs bestellen: hoerzu.bandcamp.com/

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